„Mach das! Lauf für uns, Petra. Damit wir alle nicht vergessen werden.“

Es gibt diese Momente, da gibt es nur Hopp oder Top.

 

Editorial:

Mitte April 2019 stand ich, nachdem ich ein Jahr intensive Krebstherapie hinter mich gebracht und nur noch vier von 16 Antikörper-Spritzen vor mir hatte, auf der Kniebrücke und hatte fest vor, es zu tun. Denn mein persönlicher Marathon war bereits viel zu lang: Keinen einzigen Meter mehr weiter!

Als ich da auf der Brücke stand und das Gitter sah, welches von der Stadt erhöht wurde, auch für solche Vorhaben, wie ich es vorhatte, war ich komplett aus dem Konzept gebracht.

DANKE Stadt Düsseldorf: Vielleicht doch noch ein, zwei, drei, …, … Meter?
Aber dafür brauchte ich einen Plan.

 

 Während ich 2011 noch im Rollstuhl saß, hatte ich alle Therapeuten und Ärzte lautstark angemeckert, wenn sie meinten: „Finden Sie sich mit dem Rollstuhl ab. Auch damit kann man ein erfülltes Leben führen!“
Das machte mich jedes Mal dermaßen wütend und so fuchtelte ich wild und völlig unkoordiniert mit meinen Armen und Händen (nicht mal der drohende Zeigefinger wollte klappen) und schrie sie an:
„Ihr werdet alle sehen!!!!! Ich nehme bald am New Yorker Marathon teil!“ 

 

Und in diesem Moment auf der Brücke kam die Idee, im November 2021 mit einer Teilstrecke von 10 km am New Yorker Marathon teilzunehmen. Das müsste für mich zu schaffen sein. Das Motto sollte lauten:

„Für jedes Lebensjahr einen Kilometer.“

 

Gedacht und zu Hause gleich in Angriff genommen: Am gleichen Tag noch, fand ich den Namen obenohne-life (ein wenig frech und anrüchig, was ich sehr schön fand) und richtete  diesen Blog ein. Ich recherchierte Laufschulen und -Lehrer:innen. Zwei Wochen später fing ich im Alter von 54 Jahren mit dem Joggen an. Später kam zum Ausgleich Yin Yoga hinzu.

Nachdem ich am 1. Juli 2019 meine letzte Antikörperspritze hatte und damit meinen letzten Tag in der Onkologie, saß beim Herausgehen, draußen vor dem Eingang Carol und streckte ihr Gesicht in die Sonne, rauchte genüsslich ihre Zigarette und scherzte mit einer Freundin oder Mitstreiterin. Sie hatte Krebs im Endstadium. Carol rief mich zu sich und fragte, „Was geht?“ Erst zögerte ich – aber dann teilte ich ihr mit: „Letzter Tag Onkologie heute!“ Und ich erzählte ihr von meinem Bog. Sie nahm mich fröhlich in den Arm, knuddelte mich fest, knuffte liebevoll meinen Kopf und sagte:

„Mach das! Lauf für uns, Petra. Damit wir alle nicht vergessen werden.“

Bis heute berührt mich dieser Moment sehr. Wenn ich schlechte Tage habe und mit mir und meinem Schicksal hadere, ziehe ich meine Laufschuhe an und laufe für

Carol (2019), Gerhard (2019), Hannelore (2019), Marie (2019), Sigrid (2019), Katharina (2019), Sabine (2019), Wolfgang (2020), Ebru (2021), Margot (2022), Ai (2022) Caroline (2022), Roland (2023), Paul (2024), Annette (2024) und für die vielen vielen anderen, die es bis hierher nicht geschafft haben.

Und ich laufe immer wieder gerne zum Trotz für mich, weil über Jahre niemand auf mich gewettet hätte.

Mit der Zeit stand das Training immer weiter hinten an. Was gibt es da auch zu berichten, außer heute war super oder schlechtes Training gehabt.

Rückblicken weiß ich, der Blog war so unglaublich wichtig für mich: alles einfach herauszuhauen, was da so war.
Stöbert man in den vielen Foren auf Facebook oder Instagram herum oder liest die verschiedenen Blogs von anderen Betroffenen, merkt man sehr schnell, das Bedürfnis haben viele. Wir Betroffenen brauchen ein Forum, einen Blog oder eine Anlaufstelle, also ein neutrales Ventil, welches nur für uns da ist und wo wir mit unserem Krebs einfach nur sein dürfen! Das böse Wort Krebs und alles Fiese, was damit verbunden ist, aussprechen dürfen. Nicht mehr für die anderen kämpfen müssen, obwohl es ja für uns selbst sein soll. Ängste offen ohne Schi-Schi ansprechen dürfen. Wütend sein dürfen. Reflektieren dürfen. Und dazu benötigen wir Krebsblogger völlig exhibitionistisch die Öffentlichkeit. Wir spüren uns so, fühlen uns verstanden, ohne irgendjemanden verpflichtet zu sein. In diesen Momenten sind wir nicht tot, sondern da, nehmen noch am Leben teil. Zudem ist es in unserer Situation oftmals viel einfacher und befreiender, sich mit anonymen und fremden Menschen auszutauschen, als mit Freunden oder der Familie.

Anfang 2021 wusste niemand, wie die Pandemie uns weiter einschränkt. Covid hat uns alle flexibel gemacht. Ich entschied mich neu.
Anfang Mai 2021 (der Zeitraum meiner ersten Hirn OP im Jahr 2011) rief ich Freund(e):innen zu einem virtuellen Spenden-/Abschlusslauf für die Deutsche Hirntumorhilfe auf und lief so meine 10 Kilometer.
Später stellte sich heraus, dass der New Yorker Marathon für mich ausgefallen wäre. Genau einen Tag nach dem NY Marathon, durften Touristen am 08.11.2021 wieder einreisen.

Ende 2021 hatte ich den Blog eingestellt, weil diese Geschichte für mich beendet war. Aber seitdem kommen immer wieder Ärzte, Foren und Betroffene auf mich zu, die mich fragen: „Wieso schreibst Du nicht mehr?  Dein Blog macht Mut!“ Deshalb habe ich eine kleine Auswahl meiner Artikel von 2019 bis 2021 wieder online gestellt.