Bevor ich nach Sardinien flog, hatte ich mir für die Zeit dort ein kleines ambitioniertes Sportprogramm zurechtgelegt. Wegen der vielen Rückschläge wollte ich das Lauftraining und meine Yoga-Übungen nicht schon wieder unterbrechen. Ich hatte zwar noch genügend Zeit bis zum Marathon, aber wenn ich in diesem Schneckentempo weitermache, brauche ich für die 10 KM mindestens zwei Stunden.
Der Kenianer Eliud Kipchoge hat für 42,195 Kilometer in Wien 1:59:40 Stunden gebraucht.
Nur so als Beispiel! Richtlinie! Zielsetzung! Ansporn!
Okay, der Vergleich hinkt. Er ist absoluter Profi, läuft seit Jahrzehnten und hatte für diesen Rekord ein sehr großes Team dabei, welches sich um ihn kümmerte und anspornte. Mann, ich wäre schon echt froh, wenn ich die 10 KM in einer Stunde hinbekomme. Im Hintergrund höre ich bereits Stimmen der alten genervten und ungeduldigen Petra: Dann mach doch endlich! Hintern hoch! Höre auf zu jammern! Stell Dich nicht so an! Mein Vorhaben Laufen spiegelt eins zu eins mein Vorhaben Leben wider.
Es gibt Tage, da klappt alles großartig. Meine vorgenommene Strecke schaffe ich fast mühelos. Mir gehts gut. Ich mache wieder Pläne für mein Training und für das Leben. Gefühlt gehts aufwärts. Frohen Mutes glaube ich ernsthaft daran, dass ich meinen Platz in diesem Leben wieder finden werde. Meine 10 KM in zwei Jahren schaffen werde. Und dann! Aus heiterem Himmel: BÄHHMM! Der Rückschlag! Irgendwas ist immer. Körper, Geist und Seele sind sich leider immer noch viel zu selten einig. Ständig gerate ich an irgendeiner Stelle aus dem Takt. Das Konstrukt Petra ist eine sehr instabile Angelegenheit.
Das komplette Gegenteil von früher! Da trugen mich die plumpen Sprüche: Nur die Harten kommen in den Garten.
Was mich nicht umbringt, macht mich nur noch härter.
Ich konnte mit Weicheiern, so wie ich heute eins bin, überhaupt nicht umgehen. Und ehrlich, ich kann überhaupt nicht mit mir umgehen: Dieses ständige ins Loch fallen und wieder da herauskrabbeln müssen. Manchmal bekomme ich es kompensiert, manchmal verdränge ich es einfach und dann kommen auch wieder die Tage, da geht absolut gar nichts. Gleichzeitig setzt die Verzweiflung ein und die Hoffnungslosigkeit, irgendwann einmal wirklich wieder einen Platz in diesem Leben zu haben. Ich weiß, man heilt nicht linear, sondern in Wellen. Mal gehts aufwärts, dann wieder rückwärts. Und wieder ein Stück aufwärts, dann wieder rückwärts. …
Sardinien hat mir mein kleines sportliches Vorhaben umzusetzen sehr leicht gemacht. Ich fand einen wunderschönen Ort vor. Gleich am nächsten Tag bin ich zum hauseigenen Strand gelaufen und hatte die gesamte Bucht am Meer entlang geschafft. Am nächsten Tag schloss ich mich heimlich einer Gruppe an und bin ihr nach, was auch gut gelaufen ist. Das Jippiieee am Ende derer Runde und der dazugehörige Luftsprung, beides ließ ich einfach ausfallen. War mir dann doch zu doof. Gegen Mittag hatte ich mein kleines Yoga-Training umgesetzt und am späten Nachmittag schwamm ich im herrlichen Meer. Es klappte alles unglaublich gut.
Am 5. Tag saß ich zum Trocknen am Strand und dachte, Wow, endlich klappt mal was! Du ziehst es durch! Ich sollte wirklich damit aufhören, sowas zu denken oder überhaupt daran zu denken, alles wird vielleicht doch noch gut! Ich schaffe das! Es wird! Am Abend hustete meine Tischnachbarin beim Abendessen quer über den Tisch und meinte, die scheiß Bronchitis hat sie sich aus Deutschland mitgebracht. Während des gesamten Abendessens hustete und prustet sie vor sich hin. Der nächste Tag klappte noch echt gut.
Aber ab dem 07. Tag war es dann doch vorbei. Ich trat auf die Bremse. Mein Kopf schmerzte und im Hals fing es an. Trotzdem bin ich bis zum letzten Tag morgens vor dem Frühstück an den Strand und bin meine Strecke zwar nicht gejoggt, aber immerhin gewalkt. Mit den Füßen im Wasser, freute ich mich über die drei älteren Italiener, denen ich seit dem ersten Tag dort begegnet bin und dachte mir, ja eigentlich machen die es richtig. Sie genießen diesen Weg und das Wasser. Oft standen sie auf meinem Rückweg mitten im Meer und diskutierten lautstark, was ich so gerne beobachtet. Ich machte es ihnen nach, saß nach meinem Gang noch am Strand und schaute auf das unfassbare schöne Meer in der unfassbar schönen Bucht. Yoga ließ ich ausfallen (machte nur noch kleine Gleichgewichtsübungen) und das Schwimmen auch.
Leider konnte ich die Erkältung nicht abwenden und nahm sie mit nach Hause. Einen Trost hatte ich dann aber doch, denn mein Immunsystem ist genauso gut oder schlecht, wie von den anderen am Tisch. Es hatte uns alle erwischt!