In dem Kinofilm „Ausgerechnet Zoé“, der in den 90ern in den Kinos lief, geht es um die 22 Jahre alte Zoé, die sich bei einem One-Night-Stand mit ihrem Exfreund mit HIV angesteckt hatte. Den gesamten Film bekomme ich nach all den Jahren nicht mehr zusammen. Jedoch ist mir bis heute die Freundin Pat der Hauptfigur Zoé in Erinnerung geblieben, da sie ungemein anstrengend war.
Stellvertretend für Zoé jammert sie ständig rum: Warum ausgerechnet Zoé? Noch so jung und gesund und überhaupt. Pat ging mir furchtbar auf die Nerven, denn Zoé hatte nach dieser Diagnose ihr Schicksal extrem gut und vor allen Dingen sehr ehrlich gemeistert. Was jammerte Pat da überhaupt so blöd rum? Ihr Leben war völlig in Ordnung. Sie hatte doch noch ihre Zukunft vor sich.
Ich mag diese Pseudobetroffenheit nicht. Damit stellen sich diese Menschen über den anderen. Und was nutzt es dem Betroffenen? Das Verhalten ist überhaupt nicht zu gebrauchen. Es macht nur noch mehr Drama zudem, was man selbst schon zu bewältigen hat. In meiner Vergangenheit habe ich mich bei diesen Menschen immer gefragt: Um wen gehts hier eigentlich? Um mich bestimmt nicht! Denn: Hallo! Dir gehts super! Ich halte die Arschkarte in der Hand! Also Pat jammert in dem Film bis fast zum Schluss weiter rum und geht dann ein letztes Mal unachtsam über die Straße. Völlig unaufgeregt wird sie von einem Auto überfahren. So banal kann das Leben sein: Pat ist tot und Zoé geht auf ihre Beerdigung anstelle umgekehrt.
Der Film fiel mir letzte Woche wieder ein und hängt mir bis heute nach. Was wollte der Film uns Zuschauern eigentlich sagen? Was sagt uns das Leben?
Es gab noch eine übrig gebliebene Freundin aus der Hamburger Zeit. Wir telefonierten alle paar Wochen miteinander. Sie hatte alles, was ich in meinem Leben bis heute nicht erreichen konnte: Sie war rundum zufrieden bis fast glücklich damit. Einfach nur über Gott und die Welt quatschen ging allerdings seit meiner Gehirntumor-Diagnose mit ihr nicht mehr. Der Spaß war seitdem vorbei! Sie bekam so etwas Nerviges von dieser Pat und war seitdem nicht nur sehr betroffen, wenn wir telefonierten, sondern gab mir ständig unaufgefordert Tipps. Sie wusste alles: Wie ich mich ernähren musste. Was der richtige Schlafrhythmus ist. Welchen Sport ich machen sollte und warum Vitamin D so unglaublich schlecht für mich sei!
Mit der Schulmedizin stand sie auch immer wieder auf Kriegsfuß, was ständig zur Diskussion stand. Ihre Eltern waren beide Heilpraktiker und hielten überhaupt nichts von der Schul-/Gerätemedizin, die nur symptomatisch behandelt und nicht ganzheitlich! Ich mochte sie wirklich von Herzen gerne, aber in dieser Situation war sie wenig hilfreich. Der Grund, warum ich während meiner Katastrophenjahre die Telefonate reduzierte.
Als dann im Frühjahr 2018 die Diagnose Brustkrebs kam und im Sommer die Chemo folgte, unterbrach ich den Kontakt für die gesamte Zeit. Ich wollte mir eine Diskussion über die Chemo einfach ersparen. Deshalb dachte ich mir überhaupt nichts dabei, dass ich lange nichts mehr von ihr hörte. Letzte Woche rief ich sie an. Ihr Mann ging ans Telefon. Er teilte mir in wenigen Worten mit, sie sei nach kurzer heftiger Krankheit am 11.11.2019 verstorben. Diese Information hat mich geschockt. Nicht sie: eine Person, die ein gutes und gesundes Leben hatte. Eine kostbare Seltenheit heute. Ihr Leben war in meinen Augen mehr als perfekt: Es war schön! Wie konnte so etwas passieren? Sie gehörte für mich zu den Hoffnungsträgerinnen, wohin ich schaute, wenn ich mal wieder so richtig an die eigenen Grenzen kam: Schau Petra, so kann es auch sein, das Leben!
Unser Schicksal ist machmal völlig verdreht. Es gibt Menschen, die wirklich heftige Diagnosen zu bewältigen haben und jeden Tag, jede Stunde und Minute für ein wenig mehr Zeit auf dieser Erde kämpfen. Und dann gibt es die Menschen, bei denen man denkt, die haben die Zeit, das Leben, die Liebe, das Glück und die Gesundheit für sich gepachtet und die sind dann plötzlich nicht mehr da! Einfach gestorben! Aus meinem Blickwinkel heraus hatte sie noch wesentlich mehr Zeit auf dieser Erde vor sich als ich. Das Leben hatte jedoch etwas anderes mit uns vor.