Kategorie: Blog
oben ohne :-( oben ohne :-)
Haare sind für die Buddhisten ein Ausdruck der Schönheit und der Eitelkeit der Menschen im weltlichen Leben. Mit ihren kahl rasierten Köpfen zeigen die Nonnen und Mönche, dass sie keinen Wert mehr auf weltliche Dinge legen. Sie kehren dieser Welt den Rücken und widmen sich ganz ihren Glauben. Eine durch und durch freiwillige Entscheidung!
Erhält man die Diagnose Krebs und entscheidet sich für den Therapievorschlag Chemo, so sieht das mit der Entscheidungsfreiheit nicht mehr dolle aus. Klar gibt es auch Chemos ohne Haarausfall oder diese Kühlhauben. Die meisten verlieren ihre Haare jedoch völlig unfreiwillig.
Als ich die Diagnose Krebs erhalten habe, schwor ich mir, egal was mir diese mutierten Zellen nehmen werden, meine Würde bekommen sie nicht.
Ich gehörte zu den Chemo Patientinnen ohne Kühlhaube oder Perücke und mit Glatze nach der dritten Chemo. Mit bunten und auffälligen Tüchern aus dem Second Hand Laden bin ich dadurch gegangen: wenn schon keine Haare, dann bunte Tücher in einer extravaganten Verknotung, so mein persönliches Motto.
Bei einer meiner Untersuchungen verrutschte mein Tuch. Ich war genervt und wollte es nicht wieder neu binden und überhaupt ging mir an diesem Tag alles auf die Nerven. Da meinte meine Ärztin: gehen Sie doch einfach so, oben ohne! Steht Ihnen übrigens ausgezeichnet. Ich tat es tatsächlich. Erhobenen Hauptes trat ich aus der Praxis und nicht auf dem Boden blickend ging ich heim. Ich fühlte mich dabei nackter, als wenn ich mit freiem Oberkörper durch die Straßen gegangen wäre.
Bildete ich mir das ein (also ist es mein Ding) oder gibt es wirklich diese Blicke: der scheue Schrecken, das schnelle zur Seite schauen, die versuchte Ignoranz, die gerne als Toleranz bezeichnet wird. Trotz eingebildeter oder auch nicht eingebildeter Blicke ging ich unerschütterlich weiter nach Hause und mein Kopf saß fest und erhaben auf meinem lang gestreckten Hals. Ich fühlte die Würde in mir. Das gab mir unglaublich viel Kraft: keine dummen, respektlosen und gefräßigen Zellen finden in meinem Körper oder in meiner Seele eine Heimat. Die sollen sich alle andere Opfer suchen. Dafür stehe ich nicht mehr zur Verfügung! Basta!
An meiner Hausecke sprach mich der Italiener an und sagte völlig entsetzt: „Hey Petra, so heiß ist es nun auch nicht. Warum hast Du Dir alle Haare abrasiert? Du bist doch kein Mann!!“ Ich hätte ihn für diese Aussage küssen und in den Arm nehmen können. Denn der Krebs hatte genau in diesem Moment verloren: Ich war sichtbar! Nicht der Krebs. Mit oder ohne Haare: ich war ich und wurde nicht auf eine Krebspatientin reduziert.
Jetzt, ein Jahr später, es ist wieder Sommer und ich kann behaupten: oben ohne kann irre schön sein, denn ich habe mich total in einem Smart Cabrio verliebt. Es ist einfach nur wunderbar, wenn ich in diesem Auto sitze, die Sonne scheint und ich offen damit zum Freibad fahre. Letztens fand ich das Gefühl so toll, dass ich, als ich wieder zu Hause vor der Tür stand, erneut das Gaspedal betätigte und die Runde mit meinem offenen Auto einfach noch einmal gedreht habe. Ein Knopfdruck kann so glücklich machen: Verdeck auf und wieder zu und wieder auf. Ich liebe diesen Knopf in meinem Auto.
Unterm Strich völlig okay!
Was war ich bisher für eine absolute Laufniete. Mit 3 km joggen am Stück im Gepäck kam ich Anfang Januar von Lanzarote wieder. Noch knapp zwei Jahre für die zusätzlichen 7 km, das war zu schaffen. Im Flugzeug war ich noch guter Stimmung: 2020 sollte ein Jahr sein, in dem es nach vorne geht. Ich wollte nur noch in eine Richtung schauen. Vorwärts. Und den deprimierenden Tanz der Vergangenheit > ein Schritt vor – 25 zurück < hinter mir lassen. Der erste mentale harte Aufprall kam direkt nach der Landung in Düsseldorf. Ich hatte unser Deutschlandwetter völlig vergessen. In den nächsten Wochen folgten alle möglichen Varianten von Regen und Grautönen, die nur das Rheinland bieten kann. Richtige Läufer benutzen niemals das Wetter als Ausrede. Ich schon. Mein innerer Schweinehund nutzte jede banale und noch so durchschaubare Ausrede.
Im März kam endlich das ersehnte Hochdruckwetter mit viel Licht und Sonne. Morgens wurde es schon wieder heller, die Luft war kühl und angenehm. Ideales Laufwetter. Nicht, dass ich mich um das Lauftraining gerissen hätte, aber bei meiner Hauptuntersuchung Mitte März entdeckte man etwas in meinem Bauch, was da so nicht hingehörte. Mein Kopfkino drehte am Rad und darum beeilte ich mich, noch einen OP Termin vor dem Covid-19 – Shutdown zu bekommen. Der Chirurg verkaufte mir die OP sehr nett und benutzte daher häufig die Worte minimal invasiv. Bis auf die gruselige Vorstellung, dass er durch meinen Bauchnabel gehen würde und es auch tat, schien alles recht easy zu sein: „Zwei Wochen – spätestens drei Wochen nach dem Eingriff können Sie wieder laufen!“ Die OP lief völlig glatt. Spätfolgen gab es auch keine. Der Befund war super. Null Komma Null Krebs. Alles gut. Jedoch hatte ich verdrängt, dass bei mir ein Organ entfernt wurde. Minimal invasiv hin oder her, es war eine recht große OP, bei der mein Körper länger fürs Heilen benötigte, als ich dachte. Mein Lauftraining und auch die Yogastunden wurden von Woche zu Woche verschoben. Der Sommer kam und ging – plätscherte wegen COVID-19 vor sich hin. Wenig motiviert und lustlos aktivierte ich das Lauftraining, ging wieder zum Yoga. Aber richtig in Schwung kam ich nicht.
Mitten in meinem Frust wollte ich irgendwann wissen, was ich überhaupt in diesem Jahr auf meinen beiden Beinen und Füssen an Strecke zurück gelegt hatte. Ich zählte vom 01.01. – 15.09. alle Kilometer vom Handy-Schrittzähler zusammen. Manchmal ist es richtig gut, wenn man die euphorische Vorstellung, die man zu Beginn eines Vorhabens hatte, mit den Niederlagen und zahlreichen Rückschläge im Laufe der Zeit, der Realität gegenüberstellt. Denn bei mir hielt sie eine positive Überraschung für mich bereit. Ich war bereits 1.903 km gegangen, gewalkt und gejoggt. Das macht pro Tag 7,3 Kilometer. Damit lässt sich arbeiten. Mag sein, dass ich die 10 km nicht an einem Stück joggen werde. Aber es gibt ja auch noch etwas dazwischen. Zum Beispiel Intervall-Laufen.
Und überhaupt, ich kenne mich. Es kommt der Zeitpunkt, da stehe ich wieder auf. Dann packt mich der Ehrgeiz und ich ziehe mein Vorhaben, wie vorgehabt, durch.
Brüste, Melonen, Möpse
Fast alle Männer träumen davon. Frauen wollen sie in der Regel haben. Werbeplakate und -spots sind voll damit: perfekte Brüste! Große, knackige, runde, pralle, kleine, falsche. Hauptsache: PERFEKT! Was auch immer das heißen mag.
Wir Frauen sind viel zu selten glücklich, mit dem was wir haben. Zu klein sind sie, zu groß, zu hängend. Der Garten von nebenan ist immer etwas grüner: haben wir bereits die perfekten Brüste, gibt es mit absoluter Sicherheit eine Frau, die schönere hat. Und wenn halt nicht im Gesamtbild, dann zerlegt in kleinteilige Nuancen: die andere hat eine schönere Hautfarbe, etwas bessere Rundungen, die ideale Größe (obwohl gleich groß, wie die eigenen). Es gibt kilometerlange Gründe, um sich herunterzuziehen.
Kein Mann dieser Welt würde sich derart selbst infrage stellen.
Ich konnte bis zu meiner Mastektomie (Brustamputation) im letzten Jahr mein eigenes Brustthema nicht mit buddhistischer Gelassenheit begegnen. Ich mochte meine Brüste einfach nicht. Sie waren sowohl für meinen Körper (TWIGGY) als auch für meinen Bewegungsdrang zu groß. Ich habe bis heute meinen Basketballtrainer (Franzose) aus der Jugendzeit im Ohr: „Petra, laufen, laufen und jetzt springen und setz den Ball in den Korb!“ (dabei muss man sich seinen charmanten französischen Akzent vorstellen: schneller, schneller und hoch jetzt!). Fröhliches Gegröle bei den Jungs. Niemand interessierte sich dafür, dass ich den Ball versenkt hatte.
Da Twiggy immer noch die Modewelt bestimmte, gab es während meiner Jugend oder später für mich als junge Frau nur schreckliche Oma-Panzer (die man auch noch umnähen und anpassen musste) anstelle von sexy oder sportliche BH’s für meine Figur. Kleider gingen gar nicht, weil oben zu eng und unten zu weit. In den 80ern hatte ich für sehr sehr lange Zeit den Spitznamen Pam (Die Figur Pamela Ewing aus der amerikanischen Serie Dallas). Und sie trug meistens das, was ich absolut hasste: (zum Beispiel) engen Pulli zu engen Jeans. Mit den 80ern kamen auch die schrecklichen Schulterpolster. Aber war das wirklich von Vorteil? Auch damit machte ich mich zum Affen.
Als mir mein Arzt letztes Jahr vorschlug, eine beidseitige Mastektomie vorzunehmen, konnte ich nur freudig zustimmen und haben zusätzlich hart dafür gekämpft zwei Körbchengrößen kleiner zu bekommen. Es hätten auch drei oder vier sein können. Aber darauf ließ er sich nicht ein. Mir hatte die Diagnose Brustkrebs somit auch ein großes Lebensgeschenk gemacht: Freiheit.
Ich fühle mich endlich wohl mit meinen Brüsten! Später in der Onkologie stellte ich fest, dass ich ziemlich alleine mit meinem Wohlbefinden dastand, die mir die neuen Brüste (eine neue Freiheit) bescherten. Viele Frauen haben komplizierte OP’s über sich ergehen lassen, damit die Brust erhalten bleibt. Sie kämpften regelrecht, um den Erhalt ihrer Brust. Der Garten der anderen war plötzlich nicht mehr grüner, sondern der eigene Garten wunderschön. Und der sollte plötzlich rüde zerstört oder gar beseitigt werden.
Liebe Frauen, unsere Brüste sind alle wunderschön: die großen, die kleinen, die prallen, die nicht mehr vorhandenen, die operierten, die alternden, die jungen, die hängenden. Mit großen, kleinen, dicken und fast nicht sichtbaren Narben.
Ich habe mir 40 Jahre lang das Leben mit meinen Brüsten zur Hölle gemacht. Okay, mir ist meine Entscheidung, sie zu entfernen nicht schwergefallen. Damit hatte ich gegenüber sehr vielen Frauen einen ganz klaren Vorteil. Aber HALLO! 40 Jahre für nichts! Weil die Natur mit mir etwas anderes vorhatte, als meinem Selbstbild zu entsprechen. Und jetzt, kein ABER …. WIR SIND SCHÖN! WEIL WIR, WIR SIND! JEDE IST FÜR SICH EINZIGARTIG. Uns gibt es nur in dieser einen Version auf der Welt.
Wenn wir uns nicht mit dem Herzen sehen und uns von Äußerlichkeiten, von Werbeplakaten, anderen Frauen, oberflächlichen oder sexistischen Männern beeindrucken lassen, dann verleugnen wir uns selbst. Das ist doch sehr schade. Denn das verstellt uns den Blick. Wir sehen dann nur das Schlechte, dass was uns genommen wurde und nicht das Geschenk, welches wir erhalten haben: gewonnene Lebenszeit!
Vielleicht sind wir nicht mehr ganz so perfekt wie vorher. Aber dafür vielleicht besser oder einfach nur anders schön. Gestern habe ich mit einem Floristen über meine Bertha (eine Kaktee, die sehr krumm wächst) gesprochen. Ich wollte, dass sie wieder gerade wird. Er meinte: „Warum? Die Natur hat etwas anderes mit ihr vor. Ist doch schön! Sie wächst, wie sie will.“ Ja, jetzt, wo ich Bertha mit seinen Augen sehe. Ja, meine Bertha ist etwas ganz besonderes.
Ausgerechnet Zoé
In dem Kinofilm „Ausgerechnet Zoé“, der in den 90ern in den Kinos lief, geht es um die 22 Jahre alte Zoé, die sich bei einem One-Night-Stand mit ihrem Exfreund mit HIV angesteckt hatte. Den gesamten Film bekomme ich nach all den Jahren nicht mehr zusammen. Jedoch ist mir bis heute die Freundin Pat der Hauptfigur Zoé in Erinnerung geblieben, da sie ungemein anstrengend war.
Stellvertretend für Zoé jammert sie ständig rum: Warum ausgerechnet Zoé? Noch so jung und gesund und überhaupt. Pat ging mir furchtbar auf die Nerven, denn Zoé hatte nach dieser Diagnose ihr Schicksal extrem gut und vor allen Dingen sehr ehrlich gemeistert. Was jammerte Pat da überhaupt so blöd rum? Ihr Leben war völlig in Ordnung. Sie hatte doch noch ihre Zukunft vor sich.
Ich mag diese Pseudobetroffenheit nicht. Damit stellen sich diese Menschen über den anderen. Und was nutzt es dem Betroffenen? Das Verhalten ist überhaupt nicht zu gebrauchen. Es macht nur noch mehr Drama zudem, was man selbst schon zu bewältigen hat. In meiner Vergangenheit habe ich mich bei diesen Menschen immer gefragt: Um wen gehts hier eigentlich? Um mich bestimmt nicht! Denn: Hallo! Dir gehts super! Ich halte die Arschkarte in der Hand! Also Pat jammert in dem Film bis fast zum Schluss weiter rum und geht dann ein letztes Mal unachtsam über die Straße. Völlig unaufgeregt wird sie von einem Auto überfahren. So banal kann das Leben sein: Pat ist tot und Zoé geht auf ihre Beerdigung anstelle umgekehrt.
Der Film fiel mir letzte Woche wieder ein und hängt mir bis heute nach. Was wollte der Film uns Zuschauern eigentlich sagen? Was sagt uns das Leben?
Es gab noch eine übrig gebliebene Freundin aus der Hamburger Zeit. Wir telefonierten alle paar Wochen miteinander. Sie hatte alles, was ich in meinem Leben bis heute nicht erreichen konnte: Sie war rundum zufrieden bis fast glücklich damit. Einfach nur über Gott und die Welt quatschen ging allerdings seit meiner Gehirntumor-Diagnose mit ihr nicht mehr. Der Spaß war seitdem vorbei! Sie bekam so etwas Nerviges von dieser Pat und war seitdem nicht nur sehr betroffen, wenn wir telefonierten, sondern gab mir ständig unaufgefordert Tipps. Sie wusste alles: Wie ich mich ernähren musste. Was der richtige Schlafrhythmus ist. Welchen Sport ich machen sollte und warum Vitamin D so unglaublich schlecht für mich sei!
Mit der Schulmedizin stand sie auch immer wieder auf Kriegsfuß, was ständig zur Diskussion stand. Ihre Eltern waren beide Heilpraktiker und hielten überhaupt nichts von der Schul-/Gerätemedizin, die nur symptomatisch behandelt und nicht ganzheitlich! Ich mochte sie wirklich von Herzen gerne, aber in dieser Situation war sie wenig hilfreich. Der Grund, warum ich während meiner Katastrophenjahre die Telefonate reduzierte.
Als dann im Frühjahr 2018 die Diagnose Brustkrebs kam und im Sommer die Chemo folgte, unterbrach ich den Kontakt für die gesamte Zeit. Ich wollte mir eine Diskussion über die Chemo einfach ersparen. Deshalb dachte ich mir überhaupt nichts dabei, dass ich lange nichts mehr von ihr hörte. Letzte Woche rief ich sie an. Ihr Mann ging ans Telefon. Er teilte mir in wenigen Worten mit, sie sei nach kurzer heftiger Krankheit am 11.11.2019 verstorben. Diese Information hat mich geschockt. Nicht sie: eine Person, die ein gutes und gesundes Leben hatte. Eine kostbare Seltenheit heute. Ihr Leben war in meinen Augen mehr als perfekt: Es war schön! Wie konnte so etwas passieren? Sie gehörte für mich zu den Hoffnungsträgerinnen, wohin ich schaute, wenn ich mal wieder so richtig an die eigenen Grenzen kam: Schau Petra, so kann es auch sein, das Leben!
Unser Schicksal ist machmal völlig verdreht. Es gibt Menschen, die wirklich heftige Diagnosen zu bewältigen haben und jeden Tag, jede Stunde und Minute für ein wenig mehr Zeit auf dieser Erde kämpfen. Und dann gibt es die Menschen, bei denen man denkt, die haben die Zeit, das Leben, die Liebe, das Glück und die Gesundheit für sich gepachtet und die sind dann plötzlich nicht mehr da! Einfach gestorben! Aus meinem Blickwinkel heraus hatte sie noch wesentlich mehr Zeit auf dieser Erde vor sich als ich. Das Leben hatte jedoch etwas anderes mit uns vor.
Kintsugi – 金継ぎ
Ich liebe Mosaike. Mehr noch die einzelnen zerbrochenen Fliesenteile, anstelle der ganzen Bilder, die man daraus machen kann, so wie es Gaudi in Barcelona tat. Aus Italien habe ich Hunderte kleine bunte Mosaikfliesen, die ich am Strand gefunden habe (die Italiener werfen abgeschlagene und alte Fliesen einfach ins Meer und diese werden irgendwann wieder an Land gespült).
Immer wieder habe ich mir vorgenommen, dass ich irgendwann etwas Schönes daraus mache. Sie zu was auch immer neu zusammensetzen werde. Aber ich finde jedes einzelne Fliesenstück mit der jeweiligen Eigenart so schön, dass ich bis heute nichts daraus gemacht habe. Denn jedes einzelne Fliesenstück erzählt eine eigene Geschichte. Vielleicht war es Teil eines Bades oder einer Küche? Oder Teil eines Fußbodens in einem Geschäft oder in einer Privatwohnung. Die einen Fliesenstücke wurden geliebt und gepflegt, die anderen nicht gemocht – gar gehasst, weil sie so hässlich waren. Was alle gemeinsam haben, sie waren einmal ein Teil von etwas Ganzem. Sie gehörten dazu! Machten das Gesamtbild komplett.
Ich gehörte auch einmal dazu. Wozu auch immer. Rückblickend verändert sich die Wahrnehmung. Und so weiß ich heute nicht mehr, wovon ich Teil des Ganzen war. Zudem wurde über Jahre mein Leben immer wieder in verschiedene Einzelteile zerlegt. Der ständige Versuch daraus wieder ein einigermaßen ansehnliches neues, meinetwegen auch anderes Mosaik zu basteln, erweist sich bis heute als eher schwierig. Irgendwo bricht wieder eine Ecke ab oder es entsteht ein Riss. Es hakt hier und da. Nichts will so richtig zusammenpassen. Schief und krumm stehe ich da und kann mit mir nicht wirklich etwas anfangen. Stehe vor dem Spiegel und frage die Person darin: Wer bist Du? So alt, schief und krumm, wie Du dastehst.
Als ich mal wieder ins Tal der Jammerei und Schwarzmalerei abdriftete, meinte eine Künstlerfreundin, bei der ich mich ausheulte, zu mir: Ach Petra, wenn eine Schüssel viele Risse hat und Du bist für mich eine angeschlagene und gebrauchte Schüssel mit viel Patina, dann kommt da auch sehr viel Licht hindurch. Du strahlst von innen durch diese Risse nach draußen. Aber auch das Licht von außen kommt in die Schüssel hinein, also zu Dir. So bist Du umgeben von Licht und Luft. Wenn ich an ihre Worte denke und über das Beispiel mit der ollen Schüssel hinwegsehe, dann wird mir immer ganz warm ums Herz und ich strahle durch meine Risse hindurch. Zumal die gleiche Person vor über 20 Jahren zu mir wütend sagte: Dein innerer Diamant ist mit so viel Müll zugeschüttet, den musst Du erst einmal wieder freischaufeln. Wie soll er mit so viel Müll um sich herum leuchten?
In der letzten Woche hatte ich echtes Glück. Auseinandergefallen in alle möglichen Einzelteile, wie ich wieder einmal war und Mitten auf meinem selbst verursachten Schlachtfeld schlechter Gefühle, stieß ich auf das wunderbare japanische Handwerk Kintsugi (???: mit Gold und Silber reparieren).
Kintsugi ist eine sehr alte handwerkliche Tradition aus dem 16. Jahrhundert, welche zerbrochene Keramik mit Gold oder Silber repariert. Während der Zeit der japanischen Wabi-Sabi-Ästhetik der Schönen und Reichen, die ihren Reichtum durch eine besondere Ästhetik darstellen wollte, entwickelte sich durch den Zen Buddhismus die Einfachheit und die Wertschätzung der Fehlerhaftigkeit: Kintsugi – die Goldverbindung, die den Makel hervorhebt. Das Besondere daran ist, dass die offensichtlichen Makel der Reparatur nicht verborgen bleiben, sondern die Bruchstellen oder Risse durch die Verwendung von Gold- oder Silberpigmenten in den Vordergrund gestellt werden. Somit entsteht eine neue Schönheit und Wertschätzung des ursprünglichen Objekts.
In den eher wenig guten Momenten meiner schlechten Phasen sage ich mir: Ja, ich bin eine olle geflickte Kintsugi Schüssel. Und es waren und sind sehr viele Gold- und Silber-Reparaturen nötig. Ein paar Rissen sind auch wirklich nicht mehr reparabel. Aber durch diese scheine ich von innen nach außen.
Wenn’s ganz schlecht läuft, hat wenigstens das Licht die Möglichkeit, mich zu finden.
Benefizlauf Leipzig
Schon mal Probe laufen dachte ich und meldete mich für den Benefizlauf in Leipzig an.
2020 ist jedoch der Leipziger Marathon wegen Corona ausgefallen. Daher hat die Deutsche Hirntumorhilfe am 26.04.2020 ab 10:00 Uhr zu einem virtuellen Spendenlauf aufgerufen.
„Der virtuelle Startschuss erfolgt um 10:00 Uhr (wer kurz vorher oder nachher oder an einem anderen Tag teilnehmen will, kann dies selbstverständlich tun). Idealerweise schickt Ihr uns dann Eure Daten bis spätestens 30.04.2020 an e.s.dunkel[at]online[dot]de: Vorname, Name, Datum,Ort, Art der Teilnahme, erreichte cm/m/km, Bilder, Statements, … .
Veröffentlicht werden die einzelnen Aktionen in den digitalen Medien der Deutschen Hirntumorhilfe. Eine namentlich anonymisierteVeröffentlichung ist selbstverständlich möglich.*Bitte unterstützen Sie die Mitmachaktion mit Ihrer Beitrag auf das Spendenkonto der
Jeder Schritt zählt. Meine Freundinnen und ich haben bei traumhaften Wetter daran teilgenommen:
Adina: 7,0 km
Carla: 8,3 km
Gabi: 7,1 km
Petra: 7,1 km
Es hat uns allen viel Spaß gemacht.
THINK PINK!
Laut Robert Koch Institut erkrankt jede 2. Frau und jeder 2. Mann im Laufe ihres / seines Lebens an Krebs. Zum einen mag es an der alternden Gesellschaft liegen, aber das kann es nicht alleine sein, denn die Zahlen der Krebserkrankungen bei jungen Menschen steigt ebenfalls unaufhaltsam an. Zählt man schwere Krankheitsverläufe von Multiple Sklerose, Parkinson, Diabetes, Schlaganfall, Herzerkrankungen, … …. hinzu, kommt einem schnell der Gedanke, nur ganz wenige Menschen werden das Glück haben, bis ins hohe Alter gesund und fit zu bleiben. Und wenn ich an die Baby Boomer Generation denke, die jetzt ins Alter geht, frage ich mich, wie fängt zukünftig unser Gesundheitssystem diese auf uns zukommende Krankheitsflut ab. Unsere selbstoptimierte westliche Gesellschaft verdrängt dieses zukünftige Problem. In der Werbung sehen wir gesunde alternde Menschen, die Sport treiben, in der Natur sind und einen festen und fürsorglichen Halt in der Familie finden. Und wenn es mit der Mobilität nicht mehr so rund läuft, dann gibt es halt einen Lifta. Uns wird entweder eine spießige Jacobs Krönung Idylle oder eine lockere Miracoli Familie verkauft, in der Oma und Opa gesund sind und einen festen Platz in der Familie haben. Wer mit offenen Augen über die Straße geht oder Nachrichten schaut, wird schnell erkennen, unser aller Selbstbetrug ist groß.
Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen und sie wird jede 8. Frau in Deutschland treffen. Während meiner Zeit in der Onkologie war das Durchschnittsalter 35 Jahre und nicht, wie es die Statistik sagt, 55. Bei den Zahlen vom RKI handelt es sich ausschließlich um Erstdiagnosen, nicht um zweite oder dritte Diagnosen. Hinter jeder Diagnose steckt ein Mensch. Ein Schicksalsschlag, der die ganze Familie, Freunde, Kollegen, Kinder trifft.
Wie die meisten Frauen habe ich nicht auf das Verbot meines Arztes gehört und Dr. Google nach meiner Diagnose gefragt, saß mit dem Arztbrief im Bett und versuchte ohne medizinisches Wissen, herauszufinden, wie schlimm es um mich stand. Ich wollte Heilern glauben, an Essen gegen den Krebs, an Vitamin C Infusionen anstelle von Chemo und habe auf die Pharma-Lobby geschimpft, bis ich feststellte, dass es dazu keine Alternative für mich gab. Also trieb ich mich in anderen Foren herum, in denen sich betroffene Frauen austauschen. Von Beginn an des Verdachts, über die Diagnose, der OP’s bis heute war – bin es teilweise noch – süchtig danach. Es war eine Suche nach Klarheit, nach Sicherheit, nach der Gewissheit: Gott sei Dank, bei mir ist es nicht so schlimm. Es ist makaber, aber es gab Momente der Erleichterung, weil es mich nicht so schlimm getroffen hatte, wie eine andere Frau aus dem Forum, neben mir in der Onkologie oder im Krankenzimmer. Trotz fachlicher Informationen aus dem Netz, aus Büchern und von meinem Arzt, war ich nicht fähig meine Diagnose ins Verhältnis zu setzen. Ich wusste einfach nicht, wie krank ich war. Wie hart der Einschlag.
Unweigerlich stößt man bei der Suche nach einer Antwort auf die pinke Community. Die rosa Schleife ist ein internationales Solidaritäts-Symbol für Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, oder ein besonders hohes Risiko haben, an Brustkrebs zu erkranken. *„Die rosa Schleife wurde erstmals im Herbst 1991 von der US-amerikanischen Stiftung Susan G. Komen (bis 2006: Susan G. Komen Breast Cancer Foundation) im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit genutzt, als jeder Teilnehmer am Race for the Cure – einem Brustkrebs-Solidaritätslauf von Susan G. Komen in New York City – eine rosa Schleife erhielt.“
Mit vielen frechen Slogans und mutmachenden Sprüchen wird im Namen der Rosa Schleife für uns betroffenen Frauen gelaufen, gepaddelt, geritten, gespendet, veranstaltet. Man läuft gemeinsam in pinken Stiefeln herum oder trägt pinke T’Shirts (der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt) …. und diskutiert über Brustkrebs. Betroffene tauschen sich untereinander im Netz, auf Facebook oder Instagram aus. Sie erzählen ihre Geschichte, geben Tipps. Sterben. Wenn die brutale Diagnose Brustkrebs nicht der Motor dazu wäre, könnte man annehmen, es ist eine dauerhafte immerwährende, rundum freudige und gesellschaftsfähige Hochglanz Veranstaltung für die Tapferen unter uns Betroffenen. Ich schaute auf Instagram in lächelnde Gesichter von krebskranken und glatzköpfigen Marathonläuferinnen, in schöne Gesichter, makellos gestylt mit oder ohne Haare. Das rosa Motto lautet: DAUMEM HOCH! Alles im Griff. Der Krebs kriegt mich nicht. Wenn ich an miesen Tagen in den Spiegel schaute, hatte ich absolut nichts mit diesen Frauen gemeinsam. Ich sah einfach scheiße aus, hatte von den Steroiden ein rotes und aufgedunsenes Gesicht. Haare, Augenbraune und Wimpern fehlten. Ich war eine leidende – keine tapfere Krebspatientin. Nicht mal ein Daumen hoch bekam ich hin. Und wie die Mona Lisa lächelte ich auch nicht. Hatte den runtergezogenen Merkel-Mund.
Trotz allem habe ich mich über Monate von der rosa Wolke tragen lassen, war ein wenig wie auf Droge. Ich gehörte zu den Gewinnerinnen in diesem Spiel mit dem Krebs und holte mir dort täglich meinen rosa eingefärbten Prinzessinnen Zuspruch ab: hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen. Lächeln! Und wenn es grad nicht geht, einfach Lippenstift auftragen. Geht doch!
Letztes fiel mir das Sachbuch „Die Unsterblichen – Krankheit, Körper, Kapitalismus – in die Hände. Die amerikanische Autorin Anne Boyer beschreibt darin ihre Brustkrebsdiagnose, die sie Im Jahr 2015 mit 41 Jahren erhielt und setzt die Diagnose Krebs im Allgemeinen und Brustkrebs im Besonderen in einem gesellschaftlichen Kontext.
Die Passage „Ehefrauen füllen für ihre Ehemänner aus. Mütter für ihre Kinder. Kranke Frauen füllen ihre Formulare selbst aus. Ich bin krank und eine Frau. Ich schreibe meinen eigenen Namen.“ hatte mich persönlich am meisten berührt. Da ich an so vielen Tagen in der Vergangenheit alleine meinen Namen der Schwester bestätigte, bevor sie mir die Infusion anhing, bevor es zu den OPs ging oder eben unzählige Formular ausfüllte, las und unterschrieb. Denn bereits nach der Diagnose Gehirntumor gingen die Freunde mit der Zeit, die Familie machte sich rar. Der Nochehemann schickte die Scheidungspapiere, die ich auf der Intensivstation erhielt. Bis zur Diagnose Brustkrebs waren nur noch wenige übrig, die sich nach mir erkundigten. Ich war nicht nur eine alleinstehende, sondern auch eine alleingelassene Frau und Krebspatientin.
Sowohl in Amerika als auch in Deutschland ist es eine Tatsache, dass alleinstehende und/oder alleinerziehende Frauen eher sterben als andere Frauen. Zudem driften sie häufig in die Armut – später unabwendbar in die Altersarmut ab. Letztendlich hat sich unsere Gesellschaft seit den 50er Jahren nicht wirklich weiterentwickelt, die Pille nur wenige Frauen von dem typischen Frauenbild befreit. Wir Frauen haben geringeren Zugang zur Bildung, arbeiten in Berufen mit geringem Gehalt oder für weniger Geld als die Männer. Frauen sind für die Pflege und Fürsorge, sei es in Pflegeberufen oder zuhause zuständig und wenn dies innerhalb der Familie geschieht, dann ist das selbstverständlich kostenlos. Schlägt obendrauf der Krebs zu, sind viele Frauen schlichtweg neben dem Schicksalsschlag auch existentiell und gesellschaftlich am Arsch. Denn die wenigsten können sich die Diagnose existentiell leisten auch wenn sie, wie hier in Deutschland, die Behandlung bezahlt bekommen, denn sie können sich ihr Leben nicht mehr leisten.
Diese Frauen haben keine Lobby, keine rosa Community, niemanden, der für sie paddelt oder läuft. Sie haben keine Zeit und keine Kraft für Instagram oder Facebook. Keine Energie sich zu vernetzen, auszutauschen oder zu informieren. Die pinke Gesellschaft läßt sie im Stich, wie wir alle.
Diese Frauen sind einfach unsichtbar, weil sie leise und nicht laut sind. Sie haben keine frechen Sprüche parat und kommen mit einem Fuck You daher. Dafür haben sie keine Energie. Ich habe sie selbst all die Jahre nicht wahrgenommen. Erst als mich eine Pflegerin darauf ansprach, als ich eine Tüte mit Tüchern und Mützen dabei hatte, weil ich sie nach der Therapie bei Oxfam vorbeibringen wollte, ob ich die Tücher und Mützen nicht hier in der Onkologie abgeben möchte. Ich fragte nach, warum? Weil es bestimmt viele Abnehmerinnen dafür gäbe, da sich viele Patientinnen eine Kopfbedeckung nicht leisten können, antwortete sie. Natürlich sagte ich direkt zu, ließ die Tüte dort. Aber es beschämte mich unglaublich, weil ich mir wie viele andere überhaupt keine Gedanken darüber gemacht habe, dass frau sich so einfache und selbstverständliche Dinge in Deutschland nicht leisten kann, nicht einmal aus dem Second Hand Laden.
Das ist die andere Seite der pinken Community: Mit gesellschaftlich benachteiligten oder mit sehr kranken und sterbenden Frauen lässt sich kein Geld verdienen.
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*Auszug aus Wikipedia