Ich liebe Mosaike. Mehr noch die einzelnen zerbrochenen Fliesenteile, anstelle der ganzen Bilder, die man daraus machen kann, so wie es Gaudi in Barcelona tat. Aus Italien habe ich Hunderte kleine bunte Mosaikfliesen, die ich am Strand gefunden habe (die Italiener werfen abgeschlagene und alte Fliesen einfach ins Meer und diese werden irgendwann wieder an Land gespült).
Immer wieder habe ich mir vorgenommen, dass ich irgendwann etwas Schönes daraus mache. Sie zu was auch immer neu zusammensetzen werde. Aber ich finde jedes einzelne Fliesenstück mit der jeweiligen Eigenart so schön, dass ich bis heute nichts daraus gemacht habe. Denn jedes einzelne Fliesenstück erzählt eine eigene Geschichte. Vielleicht war es Teil eines Bades oder einer Küche? Oder Teil eines Fußbodens in einem Geschäft oder in einer Privatwohnung. Die einen Fliesenstücke wurden geliebt und gepflegt, die anderen nicht gemocht – gar gehasst, weil sie so hässlich waren. Was alle gemeinsam haben, sie waren einmal ein Teil von etwas Ganzem. Sie gehörten dazu! Machten das Gesamtbild komplett.
Ich gehörte auch einmal dazu. Wozu auch immer. Rückblickend verändert sich die Wahrnehmung. Und so weiß ich heute nicht mehr, wovon ich Teil des Ganzen war. Zudem wurde über Jahre mein Leben immer wieder in verschiedene Einzelteile zerlegt. Der ständige Versuch daraus wieder ein einigermaßen ansehnliches neues, meinetwegen auch anderes Mosaik zu basteln, erweist sich bis heute als eher schwierig. Irgendwo bricht wieder eine Ecke ab oder es entsteht ein Riss. Es hakt hier und da. Nichts will so richtig zusammenpassen. Schief und krumm stehe ich da und kann mit mir nicht wirklich etwas anfangen. Stehe vor dem Spiegel und frage die Person darin: Wer bist Du? So alt, schief und krumm, wie Du dastehst.
Als ich mal wieder ins Tal der Jammerei und Schwarzmalerei abdriftete, meinte eine Künstlerfreundin, bei der ich mich ausheulte, zu mir: Ach Petra, wenn eine Schüssel viele Risse hat und Du bist für mich eine angeschlagene und gebrauchte Schüssel mit viel Patina, dann kommt da auch sehr viel Licht hindurch. Du strahlst von innen durch diese Risse nach draußen. Aber auch das Licht von außen kommt in die Schüssel hinein, also zu Dir. So bist Du umgeben von Licht und Luft. Wenn ich an ihre Worte denke und über das Beispiel mit der ollen Schüssel hinwegsehe, dann wird mir immer ganz warm ums Herz und ich strahle durch meine Risse hindurch. Zumal die gleiche Person vor über 20 Jahren zu mir wütend sagte: Dein innerer Diamant ist mit so viel Müll zugeschüttet, den musst Du erst einmal wieder freischaufeln. Wie soll er mit so viel Müll um sich herum leuchten?
In der letzten Woche hatte ich echtes Glück. Auseinandergefallen in alle möglichen Einzelteile, wie ich wieder einmal war und Mitten auf meinem selbst verursachten Schlachtfeld schlechter Gefühle, stieß ich auf das wunderbare japanische Handwerk Kintsugi (???: mit Gold und Silber reparieren).
Kintsugi ist eine sehr alte handwerkliche Tradition aus dem 16. Jahrhundert, welche zerbrochene Keramik mit Gold oder Silber repariert. Während der Zeit der japanischen Wabi-Sabi-Ästhetik der Schönen und Reichen, die ihren Reichtum durch eine besondere Ästhetik darstellen wollte, entwickelte sich durch den Zen Buddhismus die Einfachheit und die Wertschätzung der Fehlerhaftigkeit: Kintsugi – die Goldverbindung, die den Makel hervorhebt. Das Besondere daran ist, dass die offensichtlichen Makel der Reparatur nicht verborgen bleiben, sondern die Bruchstellen oder Risse durch die Verwendung von Gold- oder Silberpigmenten in den Vordergrund gestellt werden. Somit entsteht eine neue Schönheit und Wertschätzung des ursprünglichen Objekts.
In den eher wenig guten Momenten meiner schlechten Phasen sage ich mir: Ja, ich bin eine olle geflickte Kintsugi Schüssel. Und es waren und sind sehr viele Gold- und Silber-Reparaturen nötig. Ein paar Rissen sind auch wirklich nicht mehr reparabel. Aber durch diese scheine ich von innen nach außen.
Wenn’s ganz schlecht läuft, hat wenigstens das Licht die Möglichkeit, mich zu finden.