8 1/2 Wochen

In der Nacht vom 20.09.2009 auf den 21.09.2009 landete ich mit extremen körperlichen Beschwerden in der Notaufnahme eines Hamburger Krankenhauses. Von dort aus wurde ich ohne physische Untersuchung auf direktem Weg in die Psychiatrie des Krankenhauses geschickt.

Zwei oder drei Tage später auf der Akutstation der Psychiatrie wurde ich dem Oberarzt vorgestellt, der den weiteren Weg für mich festlegen sollte. Bis dahin gab man mir starke Psychopharmaka (Diese Abteilung ist dafür bekannt, dass sie zu viele Psychopharmaka verteilt. Eine Patientin meinte mal böse im Raucherzimmer: Tavor verteilen die hier wie Smarties, Patienten fangen hier an zu rauchen, aber Alkohol zur Beruhigung ist für die Ärzte Sucht! Wie verlogen ist das denn?), sodass ich kaum aufrecht haltend auf dem Sitzplatz vor seinem Schreibtisch saß und seine Fragen mechanisch beantwortete. In kürzester Zeit und ohne physische Untersuchung diagnostizierte der Oberarzt eine Persönlichkeitsstörung und verlegte mich auf seine Station. Dort verbrachte ich 8 1/2 Wochen.

Es dauerte fast die Hälfte meines Aufenthalts auf dieser Station, bis ich für meine überaus aktive Bein-Motorik (die Beine krampften und zuckten unentwegt) einen akzeptablen Umgang damit und die Kraft gefunden hatte, mir zu überlegen: WAS MACH ICH JETZT? Zumal ich ja auch überhaupt nicht wusste, wohin und was jetzt. Mein Lebensplan lag in Scherben, meine Ehe war zu Ende (darauf ritten die Therapeuten immer sehr gerne herum). Zudem musste ich versuchen, dass der Aufenthalt nicht bekannt wurde, damit ich meiner Selbständigkeit weiter nachgehen und meine laufenden Projekte abschließen konnte (ich arbeitete in der Psychiatrie einfach heimlich weiter, teilte niemanden mit, wo ich war). Mein Entschluss, aus den Fängen der Psychiatrie zu kommen, also meine persönlich geplante Entlassung aus der Psychiatrie entpuppte sich als gar nicht leicht.

Ist man erst einmal auf Station übernehmen andere die Kontrolle über einen.

Denn ich war ja psychisch äußerst instabil und das wurde mir täglich in den Therapierunden erklärt. Für den Geschmack der Therapeuten hatte ich zu viel eigene Meinung, war Tablettenverweigerin und stellte mich quer bei den Therapien, stellte zu viele Fragen und kritisierte deren Vorgehensweise recht offen.

Irgendwann kam ich auf die Idee, vielleicht könnte man in einem allgemeinen Krankenhaus, in dem ich ja war, meinen körperlichen Beschwerden auf den Grund gehen und sprach bei einer der Ärztesprechstunden (die ein Mal in der Woche stattfanden) vor. Ich vergesse bis heute diesen arroganten Blick des Arztes nicht: „Ja Blut können wir Ihnen abnehmen, dazu haben wir aktuell jedoch keine Veranlassung. Wie kommen Sie auf ein Kopf-MRT? Weil meine Symptome auf MS oder gar Parkinson hinweisen! Und dann kamen im Von-Oben-herab-Blick gekoppelt mit einem Ton (der ansonsten von der Generation Großeltern für Kinder unter fünf angewendet wird, wenn sie etwas angestellt haben oder ein Wort verwenden, welches man nicht in den Mund nehmen darf) seine Worte: Meinen Sie wirklich, Sie können eine Diagnose stellen? Von diesem Moment an wusste ich, ich bin denen hier ausgeliefert. Von dieser Seite kann ich keine Hilfe erwarten. Denn die Ärzte und Therapeuten hatten ihr Urteilt über mich gefällt und wenn ich nicht mitmache, dann geht das hier für mich verdammt böse aus.

Von dem Tag an wurde ich zunehmend einsichtiger, beteiligte mich an den Therapien, erfand meine eigene Persönlichkeitsstörung und inszenierte meine Besserung davon. So nahm ich die Psychopharmaka jeden Abend entgegen und meinte, ich kann es ja mal versuchen (ich hatte das Glück, dass bei mir noch nicht kontrolliert wurde, ob ich sie auch schluckte, in diesem Stadium der Entmündigung war ich noch nicht angekommen) und warf sie anschließend ins Klo. Ich rollte während der konstruktiven Bewegungstherapie auf dem Bauch liegend über ein Kissen, anderen Patienten Murmel zu und sprach später in der Runde über meine Empfindungen und neuen Erfahren, die ich mir während des Murmelvorgangs ausgedacht hatte. Während der Musiktherapie schnappte ich mir jedes Mal die Rassel. Ich rasselte ab und an, klinkte mich während der gemeinsamen musikalischen Darbietung innerlich aus (denn wir alle hatten gar keine Instrumentenerfahrung oder eine Ausbildung darin) und sprach später darüber, wie viel Halt mir die Rassel gab. In der Morgenrunde sprach ich über meinen vergangenen Schlaf und abends über den bevorstehenden Schlaf. In der Gruppentherapie verhielt ich mich ruhig und in der Einzeltherapie kramte ich Geschichten aus meiner Kindheit hervor. Nachts riss ich mich zusammen und lief nicht mehr über die Flure. Ich ertrug meine Beine. In den wöchentlichen Abschlussgesprächen teilte ich der gesamten Therapeuten- und Ärztemannschaft mit, wie gut mir die Tabletten jetzt täten und wie viel ruhiger ich dadurch geworden bin und welche Fortschritte ich durch die Therapien machte.

Zudem zitierte ich meinen Mann zu einem gemeinsamen Gespräch mit dem Arzt, damit er aussagte, dass wir beide es noch einmal miteinander versuchen werden, also ich eine Zukunft in der Außenwelt haben werde. Mein schwarzer Humor ließ mich die vielen Krisen und Verzweiflungsanfälle überstehen. Ich war damals (bin es heute noch) fassungslos, dass es wirklich funktionierte. Ich wurde Mitte November mit den Worten entlassen, dass ich gute Fortschritte gemacht hätte und auf einem guten Weg wäre.

Und weil ich es nicht oft genug sagen kann, da sowas einfach nicht passieren darf:  Ich wurde, obwohl ich 8 1/2 Wochen in einem allgemeinen Krankenhaus (Abteilung: Psychiatrie) war, physisch zu keinem Zeitpunkt untersucht. Meine Bitte, das nachzuholen, wurde abgewiesen. Mir wurde eine völlig unnötige Therapie aufgezwungen und damit ich überhaupt wieder entlassen werden konnte, machte ich nach vier Wochen scheinbar mit. Was die Ärzte (Psychiater) und Therapeuten nicht merkten, sondern mich noch ermunterten, so weiterzumachen: Ich sei auf einem guten Weg! Hätte ich diesen Ärzten vertraut, dann wäre ich heute tot. Ich wäre als PSYCHO gestorben. Vielleicht wäre man irgendwann doch noch auf die Idee eines MRT’s gekommen. Vielleicht? Aber ich denke eher nicht, so wie man auf dieser Station mit Psychopharmaka vollgestopft wurde, hätte man weiterhin alle meine physischen Symptome auf meine Psyche oder auf die Medikamente geschoben.

Auch wenn ich gesagt hätte, ich nehme diese Pillen gar nicht, wer hätte mir denn geglaubt? Wer hätte auf meiner Bitte hin und für den Beweis dafür, einen Bluttest gemacht? Wer schießt sich denn selbst ins Knie?

Im Herbst 2013 musste ich Hartz 4 anmelden, weil durch die vielen Fehleinschätzungen der vielen Ärzte und der dadurch sehr späten Kopf OPs im Jahr 2011 mein Leben, meine mentalen und körperlichen Kräfte einfach nicht mehr vorhanden waren, um mir ein neues Leben aufzubauen. Mein persönliches und berufliches Leben hatte ich 2010 in Hamburg gelassen. Meine Rücklagen waren verbraucht. Meine kleinen Projekte deckten meine Kosten nicht. Im Jahr der Diagnose wurde der Oberarzt (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie), der mich auf seine Station für 8 1/2 aufgenommen hatte, mir eine physische Untersuchung verweigerte und eine Persönlichkeitsstörung diagnostizierte, Chefarzt der Psychiatrie und das ist er bis heute.

Als ich 2013 bis 2014 versuchte, gegen die Behandlung in der Psychiatrie rechtlich vorzugehen, bekam ich kein Recht. Die Gegenseite zerpflückte alles in Einzelteile und setzte darauf, wie irre ich doch war. Die fehlende physische Untersuchung wurde schlichtweg und permanent ignoriert. Diese Anwälte der Versicherungen der Krankenhäuser und Ärzte sitzen das einfach aus, solange bis einem die Kraft für einen Kampf und das Geld dafür fehlen. Zudem fehlte mir der emotionale Abstand, um besser mit den Argumenten der Gegenseite umgehen zu können. Ich streckte irgendwann die Flügel.

Wenn mein innerer Schutzengel, mit seinen vielen tollen und unermüdlichen Gefährten: Trotz, Sturheit, Willenskraft, Intelligenz, Widerspruch, Skepsis, Misstrauen und Mut mir nicht zur Seite gestanden hätten, wäre ich als Irre gestorben. Niemand hätte sich die Mühe gemacht, die Wahrheit herauszufinden. Niemand hatte mir bis 2011, bis zur Diagnose geglaubt. Die Liste dieser Ärzte, Heilpraktiker, Heiler, Osteopathen und Alternativ-Medizinern aller Art ist sehr lang. Mein Exmann, meine Freunde und Familie glaubten mir sowieso nicht.

Ich hatte PSYCHO fett auf der Stirn stehen.

Es war ja für alle auch so unglaublich einfach: Reiß Dich mal zusammen. Du immer! Du hast ja immer was! Man muss auch wollen! Nimm endlich die Tabletten! Sicherlich waren Familie und Freunde nach der Diagnose Gehirntumor am Stammhirn etwas verhalten, aber dann schoss man sich darauf ein:

Woher hätten wir das denn wissen sollen? Die Ärzte haben Mist gebaut!

Aber auch wenn jemand Psycho ist, ist er doch immer noch ein Mensch, dem man respektvoll und menschlich begegnen kann. Hinter jedem Psycho steckt ein Mensch, wenn er könnte, würde er ganz bestimmt anders sein. Wenn er könnte!
Ich bekam im Jahr 2011 drei Entschuldigungen von drei Menschen, die alles richtig gemacht haben. Und das bedeutet mir bis heute unglaublich viel. Denn kein Geld der Welt kann die eigene innere Welt und die eigene Würde nach so einem Drama wieder heil machen, aber ein > Tut mir ehrlich leid < oder eine aufrichtige Entschuldigung können das. Denn dann weiß man, dass man richtig ist und spürt, der andere kann das große Leid sehen, was einem widerfahren ist. Er nimmt Anteil an diesem Leid.

In der Uniklinik Düsseldorf wurde ich wegen meiner körperlichen Beschwerden (in der Notaufnahme) auf Endstadium MS untersucht. Als der junge Arzt mir die Diagnose Gehirntumor (der Tumor am Stammhirn war gutartig und saß dort schon fast 12 Jahre, so deren Einschätzung) mitteilte, fragte er mich: Niemand hat bei Ihnen ein MRT in Erwägung gezogen, bei Ihren Symptomen? Ich verneinte. Er holte tief Luft, ließ sie langsam raus und sagte: Ich möchte mich in aller Form für meine Kollegen bei Ihnen entschuldigen. Das Gleiche haben meine beiden Operateure auf der Neurochirurgie gemacht. Sie entschuldigten sich für ihre Kollegen bei mir.

Dr. Chaddeh hatte es mit seinen Worten, bei unserer ersten Begegnung auf den Punkt gebracht. Er meinte damals, als er mich nach nicht einmal 10 Minuten auf direktem Weg mit einem Taxi in die Notaufnahme der Uniklinik schicken wollte, auf meinen Ausruf  > Wieso das denn jetzt? Ich bin eine Irre! <

„Frau Bach, man kann Läuse und Flöhe gleichzeitig haben, aber ich bin mir sicher. Sie haben nur Flöhe!“